Von Pedigree Dogs Exposed 2008 zur Crufts 2012…

Die Crufts, benannt nach ihrem Gründer Charles Cruft, ist die weltweit größte Hundeausstellung mit etwa 28 000 ausgestellten Hunden und 160 000 Besuchern.  Vom Englischen Kennel Club organisiert, findet sie im März jedes Jahres in Birmingham statt.

 

Am 19. August 2008 strahlte die BBC die Dokumentation „Pedigree Dogs Exposed“ aus, die massive Kritik an Rasse- und Richtstandards sowie an den gängigen Zuchtpraktiken übte. Das Programm führte zum Rückzug wichtiger Sponsoren von der Crufts (u.a. Hill’s, RSPCA). Aufgrund der Publikumsreaktion sah sich der Kennel Club nach anfänglichem Zögern genötigt, diverse Änderungen in seiner Zuchtpolitik bezüglich der Gesundheit der Hunderassen vorzunehmen: Unter anderem wurden für zahlreiche Rassen neue Standards festgelegt und ein neuer „Code of Ethics“ trat in Kraft.

Im Januar 2011 beschloss der Kennel Club, dass die BoB-Gewinner von 15 Rassen erstmalig auf der Crufts 2012 und im Folgenden auch bei den  Championship Shows einer tierärztlichen Untersuchung („Veterinary Health Check“, kurz Vet Check genannt) durch einen unabhängigen Veterinär unterzogen werden müssen. Die betroffenen Rassen sind die vom Kennel Club designierten sogenannten „High Profile Breeds“, die der besonderen Überwachung bedürfen aufgrund äußerlich  sichtbarer Eigenschaften, die Gesundheitsprobleme hervorrufen oder das Wohlbefinden beeinträchtigen können. Die Liste dieser Rassen wird regelmäßig überarbeitet und veröffentlicht. Zurzeit beinhaltet diese Liste Basset Hound, Bloodhoud, Englische Bulldogge, Chinesischer Schopfhund, Chow Chow, Clumber Spaniel, Bordeaux-Dogge, Französische Bulldogge, DSH, Mastiff, Mastino Napolitano, Pekingese, Mops, Shar-Pei und Bernhardiner.

Das Ziel des Vet Checks ist die Sicherstellung, dass der untersuchte Hund keine exzessive Merkmalsausprägung aufweist, die geeignet ist, seine Gesundheit oder sein Wohlbefinden zu beeinträchtigen. Die Untersuchung erfolgt ohne diagnostische Hilfsmittel. Der Tierarzt muss nicht unbedingt eine spezifische Diagnose stellen, diese kann aber eine unvermeidbare Folge der Untersuchung sein.

Der Vet Check betrifft vier Organsysteme, in denen bei den „High Profile Breeds“ durch übetriebene Ausprägung bestimmter im Standard geforderter äusserer Merkmale mit Gesundheitsproblemen gerechnet werden mus:

  • Äußerlich sichtbare Augenerkrankungen (abgeheilt oder bestehend), Augenschmerz, Sehbehinderungen: Das Auge und die Augenregion werden vom Tierarzt unter anderem untersucht auf konformationsbedingte Hornhautschäden, Vorliegen eines En- oder Ektropium mit Entzündungserscheinungen, Hinweise auf chirurgische Eingriffe, Distichiasis (auf dem Augapfel reibende Wimpern), Augenausfluss, übermäßiger Tränenfluss, Blepharospasmus und unzureichenden Lidschluss.
  • Lahmheit: Die spezifische Untersuchung der Gelenke ist nicht gefordert. Auch Ataxien, wie zum Beispiel Koordinationsstörungen in Bewegung, gehören in diesen Bereich.
  • Hautpathologien: Hier wird besonders auf chronische oder akute Hautentzündungen untersucht, die durch exzessive Hautfaltenbildung, eine extrem eingerollte Rute oder lange, schwere Hängeohren entstehen können.
  • Atemanomalien oder exzessive Atemgeräusche, insbesondere wenn sie mit Atembeschwerden (in Ruhe oder bei leichter Aktivität) verbunden sind. Zusätzlich kann im Verdachtsfall die Schleimhaut der Mundhöhle und Zunge auf zyanotische Verfärbung kontrolliert werden.

 

Je nach Rasse der „High Profile Breeds“ stehen unterschiedliche durch exzessive Merkmalsausprägung bedingte Probleme im Vordergrund. So ist beim Pekingesen vermehrt mit Atemanomalien zu rechnen, während beim Shar-Pei (nicht unerwartet…) die Hautprobleme überwiegen.

Bei der Crufts 2012 fanden die Vet Checks wie geplant zum ersten Mal statt und die BoB-Vertreter von 6 der 15 betroffenen Rassen scheiterten an der tierärztlichen Untersuchung. Es handelte sich um die Englische Bulldogge, den Pekingesen, den Clumber Spaniel, den Mastiff, den Mastino Napolitano und den Basset Hound. In den meisten Fällen beruhte die Disqualifizierung auf Problemen im Augen- und Lidbereich, die Details des Untersuchungsergebnisses gelten aber also privat und sind nicht zur Veröffentlichung vorgesehen.

 


 

Zunächst ist sicher festzuhalten, dass die öffentliche Meinung ein wirksames Druckmittel ist und bleibt: Nach einer ersten Phase der Zurückweisung hat der Kennel Club Konsequenzen aus dem anhaltenden öffentlichen Druck ziehen müssen und Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheitspolitik und des Tierschutzes in der Rassehundezucht eingeführt.

Der Schritt, den Gesundheitszustand der BoB-Vertreter einiger Rassen von einem unabhängigen Tierarzt überprüfen zu lassen, hat eine symbolische Signalwirkung, die über die einer simplen zusätzlichen Kontrolle im Rahmen einer Ausstellung weit hinausgeht: Er signalisiert im weiteren Sinne die generelle Bereitschaft, die objektive Beurteilung der Gesundheitsbelange aus der ausschließlichen Verantwortung der Rasseclubs auszulagern: Dies ist notwendig geworden, da sich diese in den meisten Fällen als unzureichend erwiesen hat: „Pedigree Dogs Exposed“ ist durch das eklatante Fehlverhalten der Verantwortlichen der Rasseclubs bezüglich der Anforderungen an eine gesundheitsorientierte Zuchtpolitik überhaupt nur möglich geworden. Es bleibt zu hoffen, dass dies nur der Anfang einer Bewegung ist, in deren Rahmen die Entscheidungen hinsichtlich der gesundheitlichen  Aspekte der Rassehundezucht permanent in die Hände kompetenter und unabhängiger Fachleute gelegt wird, damit unabhängig von Eigeninteressen der betroffenen Züchter ausschließlich das Interesse der Hunde selbst im Vordergrund stehen kann.

 


 

Der VDH hat sich gegen eine externe Einflussnahme auf die Gesundheitsbelange ausgesprochen, da die vereinsintern durchgeführten und in den Zuchtordnungen verankerten Schulungsmaßnahmen vor Zulassung einer Zuchtstätte und Kontrollen der Züchter durch Zuchtwarte und Zuchtleiter als ausreichend angesehen werden. Er spricht sich des Weiteren insbesondere gegen ein Verbot der Ausstellung von Hunden aus, die Qualzuchtmerkmale tragen…eine schwer nachvollziehbare Position. Ein nicht weniger erstaunliches in diesem Zusammenhang vorgebrachtes Argument gegen die Disqualifikation eines Hundes während der Ausstellung ist die Unzumutbarkeit der Fahrkosten für die umsonst angereisten Aussteller. Des Weiteren wird  eine Bevorteilung der nichtorganisierten Züchter und Händler befürchtet.

Diese Argumentation weist neben einiger regelrecht absurder Aspekte (die Fahrtkosten entstehen schließlich auch für vom Richter disqualifizierte Hunde und sollten im Vergleich zu gesundheitlichen Probleme eigentlich nicht prioritär sein) eine flagrante Inkohärenz auf: Es stellt sich doch zwangsläufig die Frage, wieso der VDH externen Bewertungen so feindlich gegenübersteht, wenn die internen Kontrollen genügend effizient sind: In diesem Fall sollten auch bei externer Nachprüfung so gut wie keine Verfehlungen nachzuweisen sein und man könnte diesen Kontrollen mit größter Gelassenheit entgegensehen.

 


 

Auch der DDC widmet in der Ausgabe von Juni 2012 des uDD zwei Artikel den Veränderungen beim Kennel Club, teilweise in Bezugnahme auf die Aussagen des VDH und mit der ähnlichen Schlussfolgerung, dass in Deutschland die „strikte“ Zuchtordnung des DDC vor „englischen Verhältnissen“ schütze.

Diese Einschätzung hält einer genaueren Analyse in zahlreichen Punkten in keinster Weise stand. Zunächst einmal sollte hier nochmal wiederholt werden, dass der Vet Check auf der Crufts zum Ziel hat, beim untersuchten Hund die Auswirkungen rassespezifischer und im Standard festgeschriebener Eigenheiten des äusseren Erscheinungsbildes zu bewerten, die ein besonderes Risiko beherbergen, Ursache pathologischer Erscheinungen zu sein. Als Beispiel seien die Beschreibungen der Augenpartie des Clumber-Spaniels („Sie dürfen etwas Nickhaut zeigen, aber ohne Übertreibung.“) und des Bernhardiners („Natürlicher, gefestigter Lidschluss angestrebt; kleiner Knick mit wenig sichtbarer Bindehaut am Unterlid und kleiner Knick am Oberlid sind zulässig.“) erwähnt, die grenzwertig zu manifesten Augenpathologien (Ektropium, Macroblepharon) sind. Es ist nicht nachvollziehbar, inwiefern die  Zuchtordnungen automatisch solche standardbedingte Risiken eindämmen können sollten.

Im uDD wird zu recht angemerkt, dass die Dogge nicht zu den 15 „High Profile Breeds“ zählt, und vermutlich wird das auch nie der Fall sein, denn der Standard der Dogge umschreibt einen harmonischen sportlichen Hund ohne jede Neigung zu äußerlich sichtbaren Exzessen, die zu Pathologien abgleiten könnten. Dass die Dogge trotzdem auch gerade was die Augenpartie betrifft, ganz erhebliche Gesundheitsprobleme hat, liegt nicht am Standard, der im Gegenteil unzweideutig Augen „mit gut anliegenden Lidern“ beschreibt, sondern daran, dass dieser Punkt des Standards über Generationen häufig ignoriert wurde. Stattdessen wurde der euphemistische Begriff des mehr oder weniger „offenen Auges“ eingeführt, der das Ektropium zu einem mehr oder minder ausgeprägten Schönheitsfehler umwidmet. Es ist dies ein flagrantes Beispiel des Scheiterns der Selbstkontrolle durch die Zuchtvereine, die der VDH als ausreichend erachtet.

Auch ist der etwas herablassende Blick auf die „englischen Verhältnisse“ unangemessen in Anbetracht der Tatsache, dass der „General Code of Ethics“, eine für alle dem KC angehörigen Rassevereine verbindliche Vorschriftensammlung, seit seiner Verschärfung als Reaktion auf „Pedigree Dogs Exposed“ teilweise deutlich strenger ist als die deutschen Zuchtordnungen: So war ein Thema der Dokumentation das Töten gesunder Welpen aus rein kosmetischen Gründen: Neben den Rhodesian Ridgebacks wurden hier auch Deutschen Doggen mit nicht ausstellungstauglichen Farben erwähnt. In der aktuellen Fassung der „General Code of Ethics“ ist daher das Töten gesunder Welpen eindeutig untersagt, in der Zuchtordnung des DDC dagegen durch die geschickt gewählte Formulierung („Die Züchter haben alle aufgezogenen Welpen eine Wurfes zur Eintragung zu melden.“) implizit gebilligt. In der KyDD wird gar per Zuchtordnung explizit dazu aufgefordert, wie Zahl der aufgezogenen Welpen den Umgebungsverhältnissen anzupassen. („Die Zahl der aufzuziehenden Welpen richtet sich nach der Konstitution der Hündin sowie den Aufzuchtmöglichkeiten des Züchters.“). Die Farbverteilung der im Schwarz/Gefleckt-Farbschlag eingetragenen Welpen insgesamt, und insbesondere in einigen Zwingern, die so gut wie nie Grautiger am Leben erhalten, zeigt, dass Doggenzüchter in Deutschland massiv Gebrauch machen von der -tierschutzrechtlich illegalen- Toleranz der hier gültigen Zuchtordnung. Handlungsbedarf besteht hier in Deutschland, nicht in England.

In anderen zuchthygienischen Punkten ist der Kennel-Club ebenfalls strenger als die meisten deutschen Zuchtordnungen, so auch die des DDC: So bedarf es aus Gründen des Tierschutzes  einer Ausnahmegenehmigung, wenn eine Hündin mehr als 4 Würfe austragen soll. Die Zuchtordnung des DDC vermerkt lediglich, dass eine Hündin nur bis zur Vollendung des achten Lebensjahres zur Zucht verwendet werden darf…bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung der Deutschen Dogge von nicht einmal sieben Jahren ist das keine wesentliche Einschränkung der Zuchtnutzung.

 

Abschließend sollte noch einmal bemerkt werden, dass die Disqualifizierung der BoB-Hunde auf der Crufts hoffentlich nur der Anfang einer Bewegung ist, die vermehrte kompetente externe Kontrollen in den Mittelpunkt der Hundezucht stellt. Denn so lobenswert es ist, die äußerlich sichtbaren züchterische Exzesse zu ahnden, so ist es doch von noch wesentlich größerer Bedeutung für die Hunde und für deren Besitzer, dass mit der notwendigen und unabdingbar vereinsexternen Fachkompetenz  diejenigen Krankheiten  bekämpft werden, die zwar auf Ausstellungen nicht sichtbar sind, aber Gesundheit der betroffenen Hunderassen ruinieren und deren Lebenserwartung dramatisch verkürzen.