Der Riss des vorderen Kreuzbandes

Die beiden zwischen Ober- und Unterschenkel verlaufenden Kreuzbänder haben die Aufgabe, die gelenkige Verbindung der beiden Knochen, das Knie, zu stabilisieren. Sie verhindern unter anderem das „Rutschen“ des Schienbeins (Tibia) im Verhältnis zum Oberschenkelknochen (Femur). Nerven in den Kreuzbändern kontrollieren deren Spannung und schützen sie so vor der Überlastung durch übermäßiges Beugen oder Strecken des Kniegelenkes.

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Die Kreuzbänder reißen durch Traumata oder aufgrund von degenerativen Prozessen, beispielsweise bedingt durch Gewebealterung (insbesondere bei großen Rassen) oder eine steile Gelenkstellung. Eine vorausgegangene Degeneration macht die Kreuzbänder natürlich anfälliger für deren Verletzung durch Traumata, beiden Ursachen können also gemeinsam für einen Riss verantwortlich sein.

Beim Kreuzbandriss reißt in der Regel das vordere Kreuzband, das am vorderen Rand der Tibia ansetzt, teilweise oder vollständig, während das hintere Kreuzband nur sehr selten betroffen ist. Die folgenden Ausführungen beziehen sich also auf den Riss des vorderen Kreuzbandes. Die durch diesen entstehende unnatürlich große Bewegungsfreiheit der Tibia nach vorne im Verhältnis zur Position des Femurs wird als „Schublade“ bezeichnet: Die Tibia kann nach vorne „rutschen“, weil sie nicht mehr vom Kreuzband in ihrer Position fixiert wird. Das Zerreißen des vorderen Kreuzbandes kommt durch eine plötzliche Überstreckung und Eindrehung des Kniegelenkes zustande, beispielsweise, wenn der Hund in ein Loch tritt oder hängenbleibt. Beim Vorliegen einer Degeneration reichen auch schon normale Bewegungsabläufe, um einen Riss zu verursachen. In diesen Fällen sind oft beide Knie (fast) gleichzeitig betroffen.

 

 

 

Aufbau des Kniegelenkes (Quelle: Florian Scheuerer)

(Quelle: Florian Scheuerer)

 


 

Symptome und Diagnose

Junge, aktive Hunde großer Rassen erleiden am häufigsten einen Kreuzbandriss. Je nach Art  des Kreuzbandrisses können unterschiedliche Symptome auftreten.

Der akute Kreuzbandriss zeigt sich in einer plötzlich auftretenden Lahmheit: Der Hund tritt dann kaum oder gar nicht auf. Bei einer chronischen Verletzung des Kreuzbandes wird das Bein dauerhaft geschont. Typisch sind Schwierigkeiten beim Aufstehen und Hinlegen sowie das gerade Wegstrecken des erkrankten Beines im Sitzen. Oft verstärkt sich die Lahmheit nach Anstrengung oder längerer Ruhe.

Ein partieller Riss kann oft monatelang außer einer geringgradigen Lahmheit nach Belastung kaum Symptome verursachen. Die Lahmheit verstärkt sich erst beim Fortschreiten des Risses und der damit verbundenen Degeneration. Mit der Zeit vermindert sich die Muskulatur des verletzenden Beines (Atrophie) aufgrund der geringeren Belastung.

Hunde mit einem (in der Regel chronischen) beidseitigen Kreuzbandriss können beide Beine nicht korrekt belasten. Dies kann unter Umständen mit einer neurologischen Erkrankung verwechselt werden.

Das oben beschriebene, für den Riss des vorderen Kreuzbandes typische Phänomen der Schublade ist je nach Art des Risses (akut oder chronisch, teilweise oder vollständig) nicht immer leicht auszulösen, in manchen Fällen (geringgradige teilweise Risse) gar überhaupt nicht. Auch die Verspannung des Hundes ist ein häufiges Problem, das unter Umständen eine Narkose notwendig macht, um eine „Schublade“ auslösen zu können. Der sogenannte Tibiakompressionstest ist eine weitere Möglichkeit, die durch einen Kreuzbandriss bewirkte anormale Beweglichkeit im Kniegelenk nachzuweisen.

Das Röntgen des Knies ermöglicht keine sichere Diagnosestellung eines Kreuzbandrisses. Eine Arthroskopie (Gelenkspiegelung) kann hingegen zur Diagnosesicherung herangezogen werden.



Behandlung

Konservativ
Eine konservative Behandlung ist nur bei  kleinen Hunden eingeschränkt zu empfehlen. Bei großen Hunden verringert sich zwar ebenfalls die Lahmheit, aber die normale Funktionsfähigkeit des Beines wird meist nicht wiedererlangt. Auch besteht bei Hunden aller Größen das Risiko, dass zwar die Lahmheit verschwindet, die weiterbestehende Instabilität im Kniegelenk jedoch zu degenerativen Prozessen führt (Arthrose…)

Operativ
Es gibt mehrere OP-Techniken, deren Wahl von der Größe des Patienten, aber auch von den Vorlieben des Operateurs und von den Kosten abhängig gemacht werden kann: Es hat sich in der Tat gezeigt, dass die Erfolgsrate UNABHÄNGIG von der Operationstechnik bei knapp 90% liegt, die Prognose nach Operation also allgemein als gut bewertet werden kann. Nichtsdestoweniger werden auch nach Operationen langfristig degenerative Veränderungen des Gelenkes festgestellt, verbunden mit verringerter Aktivität des Hundes und Steifheit des Beines nach Phasen der Inaktivität.
Ziel ist immer die Stabilisierung des Kniegelenkes. Dies kann dadurch erreicht werden, dass entweder im Kniegelenk selber eine Fixation vorgenommen wird (intrakapsuläre Stabilisation) oder aber das Kniegelenk von außen stabilisiert wird (extrakapsuläre Stabilisation). Bei der intrakapsulären Stabilisation wird mit Hilfe von autogenem Gewebe (das heißt, Gewebe, das vom Hund selber stammt) die Funktion des Kreuzbands im Gelenk sozusagen nachgeahmt. Synthetische Materialien werden nur selten verwendet. Bei der extrakapsulären Stabilisation wird das Gewebe um das Kniegelenk herum durch bestimmte Nahttechniken gerafft, um durch diese Straffung die Stabilität des Gelenkes zu erhöhen oder es werden Fäden zwischen Ober- und Unterschenkel gespannt (sogenannte Fadenzügel).

Einen anderen operativen Ansatz, insbesondere bei Hunden großer Rassen, bieten die sogenannten Korrekturosteotomien. Hier wird durch operative Veränderung der Position von Teilen der angrenzenden Knochen eine Veränderung des Gelenkmechanismus bewirkt, die zur Stabilisierung des Kniegelenkes führt.


  Bei der Tibial Plateau Leveling Osteotomy (TPLO) wird die Neigung der oberen Gelenkfläche des Schienbeins, des sogenannten Tibiaplateau, verändert: Dieses ist natürlicherweise nach hinten abgeschrägt, so dass der auf dieser Fläche aufsitzende Oberschenkel durch die auftretenden Scherkräfte nach hinten „rutschte“, wenn er nicht vom vorderen Kreuzband davon abgehalten würde. Die Verringerung dieser Neigung durch das Abflachen der Neigung des Tibiaplateaus hat zur Folge, dass die Stabilisierungsfunktion des vorderen Kreuzbandes durch das hintere Kreuzband und die Muskeln übernommen werden kann, weil die Scherkräfte verringert werden. Die Technik besteht im Prinzip darin, dass ein kreisförmiger Schnitt durch die Tibia erfolgt und der oberen Knochenanteil ein wenig gedreht und dann mit einer Metallplatte wieder am unteren Anteil fixiert wird. Die TPLO wird oft bei großen aktiven Hunden bevorzugt angewendet.
Röntgenbild einer Tibial Plateau Leveling Osteotomy (TPLO) (Quelle: Dr Hellmuth Steger)
   
 

Prinzip der Tibial Plateau Leveling Osteotomy (TPLO) (Quelle: Florian Scheuerer)


Als Vorläufer dieser Methode gilt die Keilosteotomie der Tibia (Tibia wedge osteotomy = TWO), die auf dem gleichen Wirkungsmechanismus beruht, lediglich die Schnittführung durch den Knochen ist anders lokalisiert. Diese Methode kann bei Hunden im Wachstum angewendet werden, da sie anders als die TPLO nicht die Wachstumsfugen beeinträchtigt.


Beim Tibial tuberosity advancement (TTA) wird ein Teil des Schienbeinknochens (die sogenannte Tuberositas tibiae) abgesägt , mit Hilfe eines sogenannten Platzhalters vorverlagert, und mit einer Metallplatte an der neuen Position fixiert. Dadurch wird der Verlauf und damit die Zugrichtung der Sehne der Kniescheibe (Patellarsehne), die an dieser Stelle ansetzt, verändert:  Die Patellarsehne steht dann in einem Winkel von 90 Grad zum Tibiaplateau und kann auf diese Weise anstelle des gerissenen Kreuzbandes den oben beschrieben Scherkräften zwischen Ober- und Unterschenkelknochen entgegenwirken.
 


Nach einer TPLO kann sich der Zug auf die Patellarsehen verstärken, während die TTA diese biomechanisch eher entlastet. Bei der TPLO wird die Kongruenz, also die Übereinstimmung der Gelenkflächen vermindert, nicht hingegen bei der TTA.



Nachbehandlung

Nach Operationen mit intra- oder extrakapsulärer Stabilisierung wird das Bein nur für ein bis drei Tage mit einem Verband stabilisiert und in dieser Zeit kann auch bereits die Physiotherapie wie Massagen, Bewegungstherapie (Laufband), Stretching usw. beginnen.
Nach den Methoden, die eine Osteotomie beinhalten wie TPLO, TWO oder TTA ist dagegen eine starke Einschränkung der Bewegung solange erforderlich, bis die aufgetrennten Anteile des gesägten Knochens wieder zusammengewachsen sind, also je nach Alter des Patienten 1 bis 3 Monate. Physiotherapeutische Übungen werden erst nach dieser Heilung begonnen.
Generell ist ein Physiotherapieprogramm nach Knieoperationen von großer Bedeutung und sollte aus diesem Grunde auf keinen Fall vernachlässigt werden.