Der Fluch der populären Deckrüden

vonCarol Beuchat, PhD

Scientific Director, Institute of Canine Biology, Dept of Molecular and Cell Biology, University of California Berkeley
- Mit freundlicher Genehmigung der Autorin übersetzt von Annette Kruse. -

Die häufigste Forderung von Genetikern an Hundezüchter ist es, das "Popular-Sire-Syndrom" zu vermeiden. Gleichzeitig ist es einer der typischen Ratschläge, die erfahrene Züchter anderen Züchtern geben, "nur die besten Vertreter der Rasse miteinander zu verpaaren". Der Widerspruch ist offensichtlich und die Konsequenzen absehbar: Die "Besten" sind die begehrtesten Deckrüden, zeugen den meisten Nachwuchs und werden also "Popular Sires".

 

Die Beliebtheit populärer Deckrüden

Bereits vor hundert Jahren schrieb William Haynes (1915) über den "Popular-Sire-Effekt". Er stellte fest, dass in drei von ihm untersuchten Terrierrassen - Irish Terrier, Scottish Terrier und Foxterrier - etwa 40% der Welpen von nur 20% der Deckrüden abstammte. Damals war "Popularität" etwas ganz anderes als heute, denn seine "besonders fruchtbaren" Rüden zeugten 5 bis 7 Würfe, was heutzutage überhaupt nicht bemerkenswert wäre. Überraschenderweise kam Hayes zu dem Schluss, dass eine Rasse aktuell von populären Deckrüden profitiert, da sie dazu beitragen, die Variabilität im Typ zu erhalten.

Oberflächlich betrachtet könnte man annehmen, dass, wenn ca. 40% der Welpen jedes Jahr durch nur  20% der Deckrüden gezeugt werden, dies schließlich zu einer großen Gleichförmigkeit des Typs führt. Die ausgewählten Rüden sind alle mehr oder weniger außergewöhnliche Tiere, aber sie werden nicht von einem einheitlichen System ausgewählt. Meistens zeichnen sie sich durch einzelne äußerliche Merkmale aus, aber nicht durch die gleichen Eigenschaften oder im gleichen Ausmaß mitunter sogar nicht einmal in der gleichen Richtung. Hier spielen die persönlichen Vorlieben und Ideale der Züchter eine große Rolle, und das Resultat ist, dass dadurch, dass einige wenige Rüden, die nicht den gleichen Rassetyp repräsentieren, eine überdurchschnittliche Anzahl von Nachkommen haben, der durchschnittliche Rassetyp in der nächsten Generation durch eine abnormale Anzahl von Variationen verändert wird. Die Tatsache also, dass dank künstlicher Selektion ausgewählte, aber nicht einheitliche, männliche Tiere einen überproportionalen Einfluss haben, wird den Rassetyp von Haustieren ständig in einem instabilen Zustand halten. Dies scheint mir eine wichtige Ursache für die große Variabilität, die man innerhalb domestizierter Rassen immer wieder feststellen kann.

Haynes hielt populäre Deckrüden für etwas Gutes, weil er dachte, sie wären so grundsätzlich verschieden voneinander, dass sie die Rasse davor bewahren, zu einheitlich zu werden. Wieso nun leistete der populäre Deckrüde 1915 einen Beitrag zur Verbesserung der Qualität des Genpools und wird 100 Jahre später zur Ursache eines Problems, das Züchter vermeiden sollen? Was ist das für ein "Syndrom", das Genetiker heute so besorgt macht?

Der Knackpunkt: DNA

Um das Problem zu verstehen, muss man ein wenig über Genetik wissen. Sicherlich kennen Sie Mutationen - kleine Abschnitte der DNA, die nicht richtig repliziert oder evtl. durch Umwelteinflüsse zerstört wurden. Ist die Mutation dominant und beeinflusst lebensnotwendige Prozesse, wird sie durch natürliche Selektion aus dem Genpool entfernt, da der Betroffene seine Gene in der Regel nicht erfolgreich an die nächste Generation weitergeben kann.

Aber viele Mutationen haben keinen krankmachenden Effekt, weil das vorhandene zweite Allel des Genpaars dominant ist und normal funktioniert. Diese rezessiven Mutationen verbleiben stumm im Genom und können wie alle anderen Gene an die nächste Generation weitergegeben werden. Und solange dieser Nachwuchs gleichzeitig eine Kopie von einem normalen Allel erbt, bleibt die Mutation weiter stumm, sie wird erst zum Problem, wenn ein Individuum zwei mutierte Allele erbt, also reinerbig in diesem Genort ist. Ohne mindestens eine Kopie des normalen, nicht mutierten Allels kann das Gen nicht richtig funktionieren, und die Folgen können von relativ unbedeutenden Dingen (z.B. eine veränderte Augenfarbe, etwas kürzere Beine) bis zu katastrophalen Auswirkungen (z.B. Blindheit, Unterbrechung eines wichtigen Stoffwechselweges, Krebs) reichen.

Mutationen finden ständig statt. Diejenigen mit sofortiger krankmachender Wirkung werden durch natürliche Selektion aus dem Genpool entfernt, während die rezessiven "stillen" Mutationen als die sogenannte "genetische Last" im Genom verbleiben. Jeder Hund - ja jeder Organismus - hat seine ureigene Sammlung veränderter Allele, die keinen Schaden verursachen, solange auch eine Kopie des normalen Allels vorhanden ist, die die notwendige Funktion erfüllt.


Ein Star ist geboren

Nun überlegen wir uns, was in einer Population reinrassiger Hunde geschieht. Stellen wir uns vor, dass diese nette Sammlung von Hunden ihre Rasse repräsentiert, mit den äußerlichen Unterschieden im Typ, die für jeden ernsthaften Züchter augenfällig sind. Wir gaben jedem Hund (sinnbildlich) eine rezessive Mutation, ein Stück geschädigte DNA, das keine schädigende Wirkung hat, weil es kein Genprodukt bildet. Wenn jeder Hund in dieser Population dieses Jahr einen Wurf Welpen hat, dann bleibt die Häufigkeit der verschiedenen Gene in der nächsten Generation etwa gleich.

Häufigkeit verschiedener Mutationen in der Population

Aber was geschieht, wenn einer dieser Hunde einen besonders wichtigen Titel gewinnt und ein "Star" wird? Wenn es ein Hündin ist, wird sie einen Wurf sehr gefragter Welpen haben, und dann wird es voraussichtlich mindestens ein Jahr dauern, bis sie wieder zur Zucht eingesetzt wird. Aber wenn dieser Star ein Rüde ist (lasst ihn uns "Hank" nennen), wird er mehrfach zur Zucht eingesetzt und produziert Dutzende (oder mehr) Welpen in einem Jahr. Hank wird die Hälfte seiner Gene, der guten und der schlechten, auf jeden seiner Nachkommen vererben, so dass viele Kopien seiner rezessiven, stillen Mutationen auf seine Welpen verteilt werden.

Erste Einflüsse auf die Mutationsverteilung in der Population durch einen populären Deckrüden

Solange Hanks schädliche Mutationen bei den Welpen mit einem normalen Allel gepaart sind, werden sie nicht ausgeprägt und haben keinen krankmachenden Effekt. Aber wenn man den Genpool der neuen Generation sehen könnte, würde man erkennen, dass er sich deutlich verändert hat. Von nur einer Generation zur nächsten wurde Hanks zuvor seltene Mutation jetzt häufig und lauert nun stumm im Genom vieler seiner Nachkommen. Durch diese Generation wird auch niemand klüger, denn die begehrten Welpen, die die rezessive Mutation ihres Vaters tragen, unterscheiden sich äußerlich nicht von denen, die das nicht tun.


Die nächste Generation

Aber in der nächsten Generation bekommen wir den ersten Hinweis auf Probleme. Vielleicht gab es einige Halbgeschwister- oder sogar Vater-Tochter-Verpaarungen, wodurch Welpen entstanden, die homozygot für Hanks Mutation sind. Eventuell ist die Mutation letal, und die Welpen werden tot geboren oder sie kommen mit einer Krankheit belastet auf die Welt. Die Züchter sind verblüfft, denn dieses Problem trat noch nie in ihrer Linie oder sogar in der ganzen Rasse auf. Also vielleicht nur Pech? Niemand kann jetzt wissen, dass es nur die Spitze des Eisbergs ist.

Homozygote Nachkommen entstehen, die Spitze des Eisbergs wird sichtbar.

Eine Generation weiter geht der Ärger erst richtig los. Träger aus der ersten Generation haben die Mutation auf die Hälfte ihrer Nachkommen übertragen, durch Halbgeschwisterverpaarungen oder Linienzucht zurück auf den Vater (Hank) entstehen zunehmend von der Krankheit betroffene Welpen. Aber während die Anzahl der erkrankten Nachkommen noch relativ gering bleibt, ist die Anzahl der Träger jetzt schon sehr groß. Man muss zusätzlich bedenken, dass unser populärer Deckrüde wahrscheinlich weiterhin einen übermäßigen Anteil an Nachkommen in jeder Generation produziert. Sie können sehen, wohin das führt. Der Samen wurde ausgesät...

 Die Mutation verbreitet sich immer weiter in der Population, immer häufiger treten reinerbige Nachkommen auf.

Jeder von diesem populären Deckrüden produzierte Wurf ist außerdem eine Fortpflanzungsmöglichkeit weniger für einen der anderen potentiellen Deckrüden in der Rasse, so dass die Genfrequenz dieser nicht genutzten Rüden in der Population zurückgeht. Gleichzeitig werfen viele Hündinnen Welpen nach Hank, die Halbgeschwister zu Dutzenden anderer Welpen in dieser Generation sind. Der Versuch, etwas mehr von den Qualitäten des Star-Deckrüden bei den Nachkommen zu festigen, wird voraussichtlich zu Linienzucht führen, bei der Träger mit Trägern verpaart werden.


Oooooo wir haben ein Problem

Das ist der Zeitpunkt, an dem die Züchter bemerken, dass es ein "Problem" in der Rasse gibt. Man braucht keinen "Stammbaum-Detektiv", um die zunehmende Anzahl erkrankter Hunde zurück zu Hank zu verfolgen, unserem populären Deckrüden, der nun für diese neue Krankheit in der Rasse verantwortlich gemacht wird. Genetiker werden aufgerufen, Jagd nach dem fehlerhaften DNA-Abschnitt von Hank zu machen und einen zuverlässigen Test zu entwickeln. und die Züchter werden versuchen, Hanks ehemals so wertvolle Gene aus dem Genpool zu eliminieren, mit einem proportional großen Kollateralschaden am genetischen Erbe all der Hündinnen, die mit Hank verpaart wurden.  Das "genetische Blutbad" durch die Bestrebungen, die Rasse von der unglücklichen Mutation zu befreien, wird sich über Generationen fortsetzen. Der ultimative Schaden am Genpool kann katastrophal sein.

Das passiert immer und immer wieder, Rasse für Rasse. Und natürlich ist der arme Hank nicht das Problem. Drehen wir die Uhr zurück, und wenn der Richter auf dieser verhängnisvollen Show auf einen anderen Hund gezeigt hätte - sagen wir, es war Rosco, der den Vorzug bekam - die Entwicklung der Rasse wäre völlig anders, die Folgen aber in etwa gleich gewesen. Rosco hätte sein genetisches Erbe in Dutzenden schöner Welpen hinterlassen, von denen die Hälfte diese eine "böse" Mutation tragen würde, die ein paar Generationen später die gesamte Rasse belasten wird. Schließlich werden die Züchter Alarm schlagen und die Bemühungen zur Identifizierung und Beseitigung der problematischen Mutation beginnen. Der Genpool wird "gereinigt", und das nächste Mal, wenn ein großer Siegerrüde gekürt wird, beginnt der Kreislauf von vorn.

Ein anderer populärer Deckrüde - dasselbe Grundproblem!


Das unglückliche Erbe der populären Deckrüden

Das wirklich schwerwiegende Problem mit populären Deckrüden ist, dass die negativen genetischen Konsequenzen ihrer Popularität sich bereits für Generationen manifestieren, ehe die Rasse ein erkennbares Problem hat. Die große Anzahl an rassespezifischen Erkrankungen, von denen man weiß, dass sie sich auf ein einziges rezessives Gen zurückführen lassen (175 werden angegeben; OMIA), zeugt von der Verbreitung des Problems (tatsächlich leiden einige Rassen bereits an mehreren rezessiven genetischen Erkrankungen).

Natürlich sind es nicht nur die rezessiven Mutationen, die durch populäre Deckrüden weit verbreitet werden. Jede genetische Erkrankung kann schnell verbreitet werden, insbesondere wenn jegliche Mittel zur Erfassung des Auftretens von neuen Krankheiten in der Rasse fehlen und Züchter nicht bereit sind, völlig offen mit den Problemen umzugehen, die sie bemerken.

Die anfallsweise auftretende Aggressivität bei English Springer Spaniels, die zu einem der beliebtesten Familienhunde in den USA zählen, scheint genetisch bedingt zu sein und lässt sich auf einen häufig verwendeten Deckrüden aus einem bekannten Zwinger zurückverfolgen (Reisner & Houpt 2005, Duffy 2008). Fünfundzwanzig Prozent der Berner Sennenhunde sterben mit durchschnittlich nur acht Jahren am histiozytären Sarkom (Dobson), einer tödlichen Krebserkrankung, die offenbar von einem einzelnen Hund in der Schweiz stammte und durch einen sehr fruchtbaren Urenkel in den USA weit und breit im Genpool verteilt wurde (Dobson 2013; Moore 1984; Moore & Rosin 1986). Viele Dobermänner sterben relativ jung an plötzlichem Herzversagen infolge dilatativer Kardiomyopathie, die zu sieben beliebten Deckrüden aus den 1950er Jahren zurückverfolgt werden kann, von denen drei an Herzversagen starben (http://bit.ly/1anuinN). Eine ernsthafte und in der Regel tödliche Anfälligkeit der Zwergschnauzer für Infektionen mit Mycobakterium avium (auch bekannt als MAC für Mycobacteria avium complex) ist wahrscheinlich rückführbar auf einen in der Mitte der 80iger Jahre beliebten Deckrüden und wird heute bei  Zwergschnauzern auf der ganzen Welt gefunden (http://bit.ly/1gZbGy7; http://bit.ly/1ciVxNP). Es gibt zweifellos viele ähnliche Beispiele von denen ich nichts weiß, oder die noch nie dokumentiert wurden.

Leroy (2011) hat populäre Deckrüden als wichtigsten Faktor für die Verbreitung von Erbkrankheiten bei reinrassigen Hunden identifiziert. Unter Berücksichtigung dieser Tatsache empfiehlt die FCI, dass kein Hund mehr Nachkommen haben soll (vermutlich im Laufe seines Lebens) als 5% der Gesamtzahl der Welpen einer Rasse, bezogen auf einen Fünfjahreszeitraum. Einige nationale Zuchtverbände folgen dem (z.B. Finnland). Aber ohne die Zusammenarbeit der Zuchtvereine oder ohne eine Behörde, die die Eintragungen übersieht und in der Lage ist, solche Zuchtbeschränkungen zu überwachen, ist schwer vorstellbar, wie eine solche Empfehlung irgend einen Effekt auf die aktuelle Zuchtpraxis haben soll. (Welche 5-Jahres-Periode? Wer übernimmt das Zählen - der Besitzer des Rüden, der Besitzer der Hündin, der Rasseclub, der übergeordnete Zuchtverband??)

Die einzigen Menschen, die von der Explosion der rassespezifischen genetisch bedingten Erkrankungen profitieren, sind die Molekulargenetiker, die den Hund als ideales Forschungsobjekt entdeckt haben, weil viele ähnliche Erkrankungen auch beim Menschen auftreten (Ostrander 2012). Aber wie nützlich und faszinierend Hunde auch für ihre Forschung sein mögen, ich vermute, alle würden unsere Hunde lieber frei von genetischen Krankheiten sehen, denn sie haben ihren Familien so viel mehr zu geben als einem Labor.



Dobson, JM. 2013. Breed-predispositions to cancer in pedigree dogs. ISRN Veterinary Science 2013: (doi: 10.1155/2013/941275)
Duffy, DL, Y Hsu, JA Serpell. 2008. Breed differences in canine aggression. Applied Animal Behaviour Science 114: 441-460.
Haynes, W. 1915. Effect of the popular sire. Journal of Heredity 6: 494-496.
Leroy, G. 2011. Genetic diversity, inbreeding and breeding practices in dogs: results from pedigree analyses. Veterinary Journal 189: 177-182.
Leroy, G & X. Rognon. 2012. Assessing the impact of breeding strategies on inherited disorders and genetic diversity in dogs. Veterinary Journal 194:343-348.
Moore, PF. 1984. Systemic histiocytosis of Bernese Mountain Dogs. Veterinary Pathology 21: 554-563.
Moore, PF & A Rosin. 1986. Malignant histiocytosis of Bernese Mountain Dogs. Veterinary Pathology 23: 1-10.
Ostrander, EA. 2012. Both ends of the leash- the human links to good dogs with bad genes. New England Journal of Medicine 367: 636-346.
Reisner, IR. & KA Houpt. 2005. National survey of owner-directed aggression in English Springer Spaniels. Journal of the American Veterinary Medical Association 10: 1594-1603.
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