Inzucht - Inzucht macht homozygot…homozygot macht krank.

Die Take-Home-Message ist also: Inzucht macht Gene homozygot...und wenn dies zur Entstehung einer Rasse unabdingbar ist, ist das ist in vielerlei Hinsicht nichtsdestoweniger alles andere als unproblematisch:

Die Inzucht bewirkt eben nicht nur Homozygotie der gewünschten Gene, sondern es wird als unkontrollierbarer Kollateraleffekt eine große Zahl anderer Gene in den homozygoten Zustand überführt. Dies führt dann zu Problemen, wenn die Rassegründer Träger von Defektallelen sind, was in gewissem Masse auf alle Hunde zutrifft. Dies ist der sogenannte Founder-Effect : Die Fixation der Eigenschaften der Gründertiere einer Rasse durch deren Inzucht führt als Nebeneffekt zu einem stark erhöhten Vorkommen der Defektallele, die sich in deren Erbgut befinden. Die Gründertiere selber sind in den meisten Fällen (heterozygote) gesunde Träger der (rezessiven) Defektallele... erst durch Inzucht auf diese Träger entstehen Nachkommen, die homozygot für diese Defektallele sind und erkranken. Aus diesem Grunde wird unter natürlichen Vermehrungsbedingungen, der Panmixie, Inzucht und die dadurch entstehende Homogenisierung der Gene in der Regel durch diverse Verhaltensstrategien vermieden: Ein möglichst heterozyotes Erbgut verhindert das Auftreten von Erkrankungen, die auf rezessiven Defektallelen beruhen. Der Nebeneffekt der erwünschten Homogenisierung der für den Phänotyp zuständigen Gen führt also parallel und relativ unvermeidlich zu einer Rassepopulation, die mit den in diesem Fall oft als „rassetypisch“ bezeichneten gesundheitlichen Problemen belastet ist. Es wird hier deutlich, dass Inzucht mitnichten Defektallele produziert: Sie erhöht nur extrem stark deren Frequenz und die Wahrscheinlichkeit, dass sie in einem Organismus homozygot werden und damit ihre krankmachende Wirkung entfalten können.

Hinzu kommt der Effekt der sogenannten Inzuchtdepression: Ein Organismus mit einer hohen Anzahl an homozygoten Genen hat im Vergleich zu einem Organismus mit heterozygotem Erbgut eine verringerte Kapazität, auf die Einflüsse seiner Umwelt zu reagieren: Seine Vitalität ist vermindert. Eine der Gründe dafür ist in der geringeren Variabilität der Enzymausstattung zu suchen: Enzyme sind Proteine, die Stoffwechselvorgänge beschleunigen. Ein genetisch heterogener Organismus besitzt eine größere Anzahl an Varianten von Enzymen, was einen positiven Einfluss auf sein Vitalität, seine Leistungsfähigkeit und seine Fähigkeit, auf Umwelteinflüsse zu reagieren hat .

Defektallele können als “fehlgeschlagene Evolutionsversuche” angesehen werden: Mutationen im Erbgut entstehen bekanntlich zufällig und sind in den meisten Fällen eher schädlich als nützlich: In diesem Fall bringen sie ihrem Träger mehr Nach- als Vorteile, und ihre Frequenz in der Population bleibt dementsprechend gering. Eine Mutation mit positivem Effekt für ihren Träger hingegen wird ihre Frequenz in der Population erhöhen und diejenige des ursprünglichen Allels schließlich überflügeln...in diesem Fall wird das “Altallel” zum Defektallel. Dieser Vorgang entspricht der Evolution der Tierart. Der doppelte Chromosomensatz mit zwei Allelen pro Gen ermöglicht es einer sich natürlichen fortpflanzenden Population, rezessive Defektallele in der Regel nicht zur Wirkung kommen zu lassen, da sie aufgrund ihrer geringen Frequenz und der allgemein vorherrschenden Heterozyotie nur in sehr seltenen Fällen homozygot vorliegen. Die Hundezucht auf bestimmte Phänotypen ist in vielen Fällen nichts anderes als die Selektion auf bestimmte Defektallele. Ein einleuchtendes Beispiel dafür sind die zahlreichen Farb- und Fellvarianten: Es handelt sich in der Regel um Mutationen, die sich in der wildlebenden Populationen – also bei den Vorfahren der Haushunde, den Wölfen – nicht haben durchsetzen können. Es hat sich eingebürgert, in Bezug auf Hunderassen nur Allele, die gesundheitliche Probleme zur Folge haben, als Defektallele zu bezeichnen. Ganz klar sind hier die Grenzen allerdings bei weitem nicht: Zu den bekanntesten Beispielen bei der Dogge zählen sicherlich das Merle- und das Harlekin-Allel, von denen ersteres in homozygotem Zustand schwerwiegende Behinderungen hervorrufen kann und letzteres im homozygoten Zustand gar schon im Embryonalstadium tödlich ist.