Die "Geheimnisse" der DNA - Grundlagen - Regulation der Genablesung

Regulation der Genablesung

Unser gesamtes Erbgut befindet sich im Zellkern jeder unserer Körperzellen, das heißt also auf unsere bildliche Vorstellung bezogen, die "Wimpelketten" mit sämtlichen Informationen über all die vielen möglichen "Perlenketten". Selbstverständlich werden nicht alle diese Informationen in jeder Zelle benötigt. Nehmen wir dafür wieder die Beispiele aus dem Teil vom Gen zum Merkmal:

Die Informationen für den Aufbau von Muskeleiweißen brauchen nur die Muskelzellen und die Informationen für die Farbstoffbildung werden für Haut und Haare benötigt. Eine Nervenzelle beispielsweise kann mit diesen Stoffen überhaupt nichts anfangen. Und sie bildet sie auch nicht, obwohl die genetische Information auch in ihrem Zellkern enthalten ist. Schon daraus lässt sich schlussfolgern, dass das Ablesen der "Geheimschrift" unserer Gene kontrolliert und gesteuert werden muss. Dabei sind zwei verschiedene Aspekte zu beachten:

  1. Jede Zelle setzt grundsätzlich nur die genetischen Informationen in Produkte um, die sie für ihre (oft hochspezifischen) Aufgaben benötigt. Alle anderen Gene werden in ihr vollkommen "abgeschaltet".
  2. Die Zellen müssen in der Lage sein, je nach Bedarf zu produzieren, also Produkte nur herzustellen, wenn sie auch benötigt werden. Also muss die Ablesung der in der Zelle prinzipiell "angeschalteten" Gene auch einer Regulation unterliegen.

Die Regelmechanismen sind ausgesprochen komplex und so vielfältig, dass immer noch neue Aspekte entdeckt werden. Auch hier ist trotz intensiver Forschung noch vieles unklar. Man weiß jedoch, dass nur ungefähr 10 Prozent unserer DNA (der "Wimpelketten") Informationen über zu bildende Eiweiße (also "Perlenkettengeheimschrift") enthält, die restlichen 90 Prozent wurden lange als eine Art "genetischer Müll" betrachtet. Diese Auffassung hat sich aber in den letzten Jahren drastisch geändert. So viel Verschwendung von Ressourcen wäre auch sehr erstaunlich! Heute geht man davon aus, dass diese in ihrer Funktion noch mehr oder weniger unerforschten DNA-Abschnitte besonders wichtige Aufgaben bei der gesamten Regulation der Genaktivitäten haben.

Jedem Gen, welches die Informationen für ein Eiweiß verschlüsselt, sind bestimmte DNA-Abschnitte vorgelagert, die die Bildung von RNA (siehe Skizze zum genetischen Code) regulieren: Diese kann gefördert oder auch verhindert werden. Wird die RNA-Bildung für dieses Gen verhindert, dann kann das jeweilige Eiweiß nicht gebildet werden (die Information der "Wimpelkette" wird nicht abgelesen, die entsprechende "Perlenkette" nicht produziert). Wird dagegen viel RNA gebildet, dann entstehen auch viele Produkte, also zum Beispiel Muskeleiweiße oder Enzyme.

Da die Zelle auf äußere Einflüsse reagieren muss, ist es notwendig, dass auch Regelfaktoren "von außen" relativ schnell auf den Prozess der Genablesung einwirken können. Auch hier gibt es viele verschiedene, zum Teil  wenig erforschte Wirkungsmechanismen. Ganz besonders wichtig für die Regulation der "Genablesung" entsprechend des Stoffwechselbedarfs sind körpereigene Substanzen, die uns allen bekannt sind: Die Hormone.

Hormone sind Botenstoffe, die unsere Zellen über "Neuigkeiten" im Organismus informieren, damit diese auf veränderte Bedingungen reagieren können.

Stellen wir uns das wieder am Beispiel der Produktion von Muskeleiweiß vor. Es ist allgemein bekannt, dass regelmäßiges Training eine Zunahme der Muskelmasse bewirkt. Die Muskelzellen werden also angeregt, mehr Muskeleiweiß zu bilden und dabei zu wachsen. Dieser Vorgang wird zum großen Teil durch Hormone beeinflusst, die der Zelle bei körperlicher Belastung mitteilen, dass sie ihren Stoffwechsel auf Produktion einstellen soll. Besonders bekannt ist in diesem Zusammenhang wohl Testosteron, aber Insulin hat mindestens genau so wichtige "aufbauende" (anabole) Wirkungen. Was bewirken diese Hormone also im Zusammenhang mit unseren Wimpelketten? Sie sorgen dafür, dass die entsprechenden "Wimpelkettenabschnitte", auf denen die Informationen für Muskeleiweißproduktion verschlüsselt sind, wesentlich häufiger als üblich in RNA übersetzt werden und daher wesentlich mehr Vorlagen für die "Perlenkettenproduktion", also die Herstellung von Eiweiß entstehen - mehr Vorlagen wiederum ermöglichen eine schnellere Produktion. (Dass dieser Mechanismus nicht direkt belastungs- sondern hormonabhängig ist, wird ja bekanntlich im Rahmen des Doping ausgenutzt.)

Ein relativ junger Wissenschaftsbereich, die sogenannte Epigenetik, beschäftigt sich mit umweltbedingten Regulationsvorgängen, also vereinfacht gesagt mit allen äußeren Einwirkungen, die zwar die DNA nicht in ihrem Aufbau verändern, aber dazu führen, dass die Ablesung des DNA-Codes (die Umsetzung der "Wimpelinformationen" in den Bau von "Perlenketten") beeinflusst wird. Dies sind vor allen Dingen chemische Veränderungen in der Umgebung der DNA, zum Beispiel im Aufbau der stützenden Eiweiße. Aber auch bestimmte winzig kleine RNA-Moleküle können die Bildung der eiweißcodierenden RNA beeinflussen. Für alle, die sich mit diesem hoch interessanten Thema intensiver beschäftigen möchten, hier der Link zu einem gut verständlichen Artikel: Epigenetik – Das molekulare Gedächtnis für Umwelteinflüsse? (Katrin Süring).